Der Haken bei der Pflichtteilsentziehung
Zusammenfassung:
Der Pflichtteil eines nahen Angehörigen kann nur in wenigen Ausnahmefällen und nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen von der Person, die ein Testament verfassen will, weggenommen werden.
Wer pflichtteilsberechtigt ist
Einen Anspruch auf einen Pflichtteil haben nur ganz nahe Angehörige der verstorbenen Person (Erblasser): Es ist zum einen der Ehegatte und zum anderen sind es die Abkömmlinge, also die Kinder, ersatzweise die Enkel oder Urenkel. Nur wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind, sind die Eltern des Erblassers (ggfls. neben dem Ehegatten) pflichtteilsberechtigt.
Verwandte in der Seitenlinie (Onkel, Tanten, Geschwister, Cousins und Cousinen) sind nicht pflichtteilsberechtigt.
Der Pflichtteil besteht in Höhe der Hälfte des gesetzlich vorgesehenen Erbteils.
Der Pflichtteil ist sakrosankt und darf nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen entzogen werden.
Wie der Pflichtteil entzogen werden muss
Wer einem nahen Angehörigen den Pflichtteil entziehen will, muss ein Testament aufsetzen und darin ausdrücklich Ross und Reiter nennen:
Er muss so ausführlich wie möglich ausführen, dass der X enterbt wird und dass ihm auch der Pflichtteil entzogen wird unter genauer Darlegung des Grundes bzw. der Gründe. Der Testierende sollte dies etwa so formulieren:
„Der X ist enterbt und es ist ihm sein Pflichtteil hierdurch entzogen. Er hat in der Zeit vom …. bis zum …. unbefugt durch Missbrauch seiner Bankvollmacht insgesamt …… Euro von meinem Sparkonto mit der IBAN …. abgehoben und mich dadurch furchtbar erschüttert und enttäuscht: Es handelte sich um Geld, das ich für meine Altersvorsorge dringend brauchte, was der X wusste. Die Taten werden derzeit von der Polizei in ….. / von der Staatsanwaltschaft in ….. unter dem Aktenzeichen …….. ermittelt. / Oder: Für seine Taten ist der X vom ……. Gericht in ……….. unter dem Aktenzeichen ………… strafrechtlich zu einer Geldstrafe in Höhe von …. Tagessätzen zu je Euro …., insgesamt Euro …… / oder: zu einer Haftstrafe von ………….. verurteilt worden.“
Wann der Pflichtteil entzogen werden darf
Die Gründe, die einen Erblasser zur Pflichtteilsentziehung gegenüber einem Abkömmling, dem Ehegatten oder den Eltern berechtigen, sind im Gesetz abschließend aufgezählt:
Die Pflichtteilsentziehung ist zulässig, wenn die Person
1. dem Erblasser, seinem Ehegatten, einem Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahestehenden Person nach dem Leben trachtet,
2. sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der vorstehend aufgeführten Personen schuldig macht,
3. die dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt
oder
4. wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe der Person am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist.
Wichtig: Das Wörtchen „deshalb“ in der Ziffer 4 hat es in sich:
Der Erblasser muss in seinem Testament genau zum Ausdruck bringen, weshalb die schwere/n Straftat/en der Person ihm, dem Erblasser, eine Teilhabe der Person am Nachlass unzumutbar machen.
Im Klartext: Einfach nur „böse“ oder „schwer kriminell“ zu sein, reicht nicht für eine wirksame Pflichtteilsentziehung!
Dies zeigt der nachfolgend geschilderte, recht krasse Fall:
Wann eine Pflichtteilsentziehung trotz schwerer Straftaten unzulässig ist….
Der Erblasser und seine Frau hatten ein gemeinschaftliches Testament gemacht, in dem sie sich gegenseitig als alleinige Erben und ihre Tochter als Schlusserbin eingesetzt hatten. Der Sohn und seine eventuellen Nachkommen wurden enterbt, da der Sohn eine mehrjährige Haftstrafe wegen „Todschlag“ verbüßt und die Testierenden mehrfach bedroht hatte. Nach dem Tod des Vaters machte der Sohn gegenüber der Mutter seinen Pflichtteil geltend und verklagte sie. Die Mutter wendete eine Pflichtteilsentziehung ein, unterlag aber vor Gericht.
Die kriminelle Karriere des Sohnes war bemerkenswert:
Unstreitig war der Sohn wegen schweren Raubes, den er gegenüber einer familienfremden Person begangen hatte, zu einer mehrjährigen Jugendhaftstrafe verurteilt worden. Das Raubopfer war später an den Folgen der Verletzungen verstorben. In die Jugendstrafe waren weitere Straftaten einbezogen worden, unter anderem sexueller Missbrauch Minderjähriger und Diebstahlsdelikte.
In dem Testament waren nicht alle Delikte aufgeführt worden. Es hieß nur, dass „ein alter Mann überfallen und ausgeräubert wurde“ und dass die Eltern „Angst“ vor ihrem Sohn hatten, weil er sie mehrfach bedroht hatte.
Das Gericht legte die Ausführungen des Erblassers und seiner Frau in ihrem gemeinschaftlichen Testament zwar dahingehend aus, dass in der angeordneten Enterbung gleichzeitig auch eine angeordnete Pflichtteilsentziehung zu sehen sei.
Dass durch die angedeutete besonders schwere Straftat mit hohem Strafmaß aber auch eine Unzumutbarkeit der Teilhabe des Sohnes an dem Nachlass eingetreten sei, hielten die Richter aber nicht für gegeben.
Ob das Begehen einer schweren Straftat dazu führt, dass die Teilhabe eines Abkömmlings an dem Nachlass aus Sicht des bzw. der Erblasser unzumutbar sei, so die Richter, müsse für jeden Einzelfall gesondert festgestellt werden. Hierzu müssten festgestellt werden, dass eine Wechselwirkung zwischen der schweren Straftat und der Unzumutbarkeit der Nachlassteilhabe bestehe. Dies sei hier aber nicht der Fall:
Es sei Sache der Mutter gewesen, dem Gericht ausführlich und nachvollziehbar zu schildern, was genau geschehen sei und inwieweit die konkrete Tat, die Art des Vorgehens und die sonstigen Umstände des begangenen Delikts den Pietäts- und Wertvorstellungen der Eheleute widersprochen haben. Dass die Eltern „Angst“ vor dem klagenden Sohn hatten, genüge für einen konkreten Sachvortrag nicht (OLG Hamm, Urteil v. 07.03.2024, Az. 10 U 44/23, NJW-Spezial 2024, 711; BeckRS 2024, 26948).
… und wann das Recht zur Pflichtteilsentziehung erlischt
Das Recht zur Pflichtteilsentziehung erlischt übrigens, wenn der Erblasser dem Übeltäter verziehen hat.
An eine Verzeihung sind aber hohe Anforderungen zu stellen: Eine bloße Vergebung, etwa, wenn die beiden nach der Tat noch regelmäßigen und sogar freundlichen Kontakt miteinander haben, reicht nicht.